Sinn gesucht!
Warum eine Karriere mit Sinn für jede*n etwas anderes bedeutet
Selbstverwirklichung im Job ist, vor allem für Millennials, ein wichtiger Motivator und für viele mehr wert als finanzieller Erfolg – sofern man sich das aussuchen kann. Universitätsprofessorin Dr. Brigitte Lueger-Schuster von der Uni Wien sagt dazu: "Was einen erfüllt, motiviert einen. Alles, was erfüllend ist, ist ein Beitrag zum Wohlbefinden, dann geht man gerne in die Arbeit und nimmt manches in Kauf, was nicht so schön ist, was ärgerlich ist oder Druck macht."
Das kann alles sein: Der Lebenszweck kann auch sein, dass man besonders viel Geld verdient oder einen ruhigen Arbeitstag hat, weil man zeitaufwändige Hobbies hat, die einem sehr wichtig sind. In dem Fall hilft es, den Fokus etwas zu verschieben:
Der Arbeitsalltag kann nicht täglich befriedigend sein, aber das große Ganze sollte stimmen.
Gerade in Krisenzeiten kann es, alleine schon der Sicherheit wegen, besonders viel Sinn machen, in einem gut bezahlten Job zu bleiben, weil man einen Kredit zu bezahlen oder eine Familie zu unterstützen hat. Auch das ist, laut Psychologie-Professorin Lueger-Schuster, ein enormer Motivator und ein Faktor, warum ein Job Sinn macht.
Univ. Prof. Dr. Brigitte Lueger-Schuster
Arbeitsgruppe Psychotraumatologie
Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie
Im Jahr 2020 kann man die Sinnfrage schwer losgelöst von der aktuell vorherrschenden Coronakrise, betrachten. Das Beratungsunternehmen Accenture hat im Frühling eine Studie zu Covid-19 und den Folgen, die diese Pandemie für Unternehmen haben wird, durchgeführt. Eine der vier größten Erkenntnisse daraus ist eine Verschiebung der Bedürfnisse:
Selbstverwirklichung rückt etwas in den Hintergrund, da die Sicherung der Grundbedürfnisse wieder mehr im Mittelpunkt steht.
Gleichzeitig wird der Purpose – also die Frage nach dem Sinn und den Werten eines Unternehmens – immer präsenter. Die Menschen hatten durch die Zwangspause im Lockdown die Möglichkeit, sich auf Grundwerte zu besinnen, was Prioritäten anders angeordnet hat. Das spielt im Alltag eine Rolle, wenn wir vor einfachen Kaufentscheidungen stehen und uns hier für die nachhaltigere, regionale Variante entscheiden oder auch, wenn Marken ganzheitlich neu gedacht werden und mit Innovationen aus der Krise hervorgehen – und wenn die Innovation nur die Etablierung des Homeoffices ist. Dr. Brigitte Lueger-Schuster sagt dazu: "Natürlich sind die Kollateralschäden dieser Krise erst der Anfang und das bereitet Sorgen, aber man muss das auch umdrehen und sich fragen: Was lerne ich daraus? Was kann mein Beitrag zur Gesellschaft sein, um das wieder ins Positive und Konstruktive zu bringen? Das muss kein sozialer Beruf sein – es ist auch sehr sinnstiftend, die Wirtschaft positiv verändern zu wollen. Das kann von steuerlichen Überlegungen bis zu nachhaltigen Projektentwicklungen alles sein – es ist großartig, welche innovativen Initiativen aus der Krise entstehen."
Arbeiten soll Freude machen! Aber, was wenn ich nicht weiß, was mir Freude macht?
Vor allem, wenn der aktuelle Job oder das aktuelle Studium doch auch ganz okay ist. Frau Prof. Lueger-Schuster meint dazu: „Sich inspirieren lassen!“ Oft hilft es schon, sich an eine Person im Leben zu wenden, mit der man gut reden kann oder die man interessant findet, und ganz einfach um Rat zu fragen: Was würdest du an meiner Stelle tun? Es gibt so viele tolle Biografien, von denen man sich eine Anregung holen kann. Gleichzeitig sollte man sich auch nicht zu sehr unter Druck setzen und alles auf einmal wollen.
Ähnlich ging es Coach und Lebensberaterin Lisa Kögler. Auch ihr beruflicher Werdegang startete thematisch ganz woanders und entwickelte sich erst langsam in eine Richtung, die ihr jetzt so viel Sinn und Freude bereitet. Lisa hat Architektur, Bio- und Umweltressourcenmanagement und nachhaltiges Bauen studiert. Das klingt doch super, oder? Ja, eh. „Ich bin einer sinnvollen Tätigkeit nachgegangen, die mir zwischenzeitlich auch immer wieder sehr viel Spaß gemacht hat. Aber es hat mir etwas gefehlt, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, was das war“, erzählt sie.
Lisa Kögler (32)
...hat sich in ihrem Job in einem Technischem Büro mehr gewünscht:
Jetzt ist sie Coach und Lebensberaterin.
Wichtig ist, so ein Gefühl des innerlichen Getriebenseins nicht zu übergehen. Man sollte sich Raum und Zeit im Alltag verschaffen, um sich diesem Zustand zu widmen. Wie Prof. Lueger-Schuster ist auch Lisa der Meinung, dass man sich Inspiration holen sollte, wo es geht: Bei interessanten Jobs schnuppern, seinen Horizont erweitern, Bio-grafien lesen, Freunde fragen. Die 32-Jährige schildert ihren persönlichen Knackpunkt
Ich hab mir drei Abende für mich Zeit genommen, um zu reflektieren und zu recherchieren. Oft hilft es schon, sich einfach mal hinzusetzen und wirklich zu überlegen. Ich bin irgendwie zum Thema Seelsorge gekommen und habe gemerkt, wie sehr mir das gefällt. In einem Zweiergespräch bin ich total präsent und es fasziniert mich, wenn sich jemand öffnet. Ich hab dann Schritt für Schritt das gemacht, wo es mich am meisten hingezogen hat.
Gestartet hat das mit ehrenamtlichem Engagement und ging weiter mit der zweijährigen Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin und systemischen Coachin– alles neben dem bestehenden Angestelltenverhältnis in einem Technischen Büro. „Ich hatte bei meinem Job glücklicherweise viele Freiheiten und habe es mir so eingerichtet, dass ich mir am Morgen, bevor ich ins Büro gegangen bin, schon zwei Stunden Zeit für meine Selbstständigkeit genommen habe“, erzählt Lisa weiter. Klar, das ist anstrengend, aber wenn etwas wirklich Freude macht, gibt das auch enorm viel Energie. Gleichzeitig bietet der bestehende Job Sicherheit und die Möglichkeit, sich mal ohne Druck auszuprobieren. „Ich bin sowieso ein großer Fan von Ausprobieren, vor allem Kopf-Menschen würde ich empfehlen, ins Tun zu kommen.“ Gleichzeitig sollte man nicht den Anspruch haben, dass das neue Projekt dann perfekt ist und man nie wieder einen nervigen Montag erleben wird. Das wird vermutlich nicht passieren. Es wird und muss sich sowieso immer weiterentwickeln.
„Karriere mit Sinn“ ist dynamisch
Meistens gab es einen Grund, warum man ein Studium angefangen oder einen Job angenommen hat. Um einer Tätigkeit wieder mehr Leben und Sinn einzuhauchen, muss man nicht unbedingt ein Sabbatical machen, alles hinschmeißen und neu anfangen oder sich selbstständig machen. Oft hilft es, sich bewusst zu werden, was einem daran Freude macht und wieso das verloren gegangen ist. Hält man sich zu viel mit Routineaufgaben auf oder ist das Arbeitsmodell zu strikt? Hat man zu wenig Freiheiten, ist unter- oder überfordert? Alleine sind diese Fragen oft schwer zu beantworten. Prof. Dr. Lueger-Schuster empfiehlt in diesem Fall, sich bei einem Coaching oder einer Karriereberatung helfen zu lassen:
„Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun und mal herauszufinden, was denn so übel ist. Vor allem, wenn das Thema so präsent wird, dass man es immer mit sich herumträgt, sollte man sich externe Beratung besorgen und definieren, was wirklich das Problem ist und die Energie raubt, was man will und vor allem, wo man hinwill“, so die Psychologie-Professorin.
Natürlich hat nicht jede*r die Möglichkeit, sich eine Auszeit zu gönnen oder zeitliche und finanzielle Ressourcen, um neben dem Job ein inspirierendes Seminar zu besuchen. Das ist aber gar nicht nötig. Oft kann eine kleine Veränderung schon große Auswirkungen haben. Ob du eine halbe Stunde später zu arbeiten anfängst, deine Mittagspause nach draußen verlegst, deine Aufgaben im Team anders aufteilst oder deinen Schreibtisch verrückst – Hauptsache, es passiert etwas.
Geht Sinn im Job ohne New Work?
Was den/die Einzelne*n in einer Tätigkeit erfüllt, ist sehr individuell, und oft machen Kleinigkeiten einen großen Unterschied. Sinnstiftende Arbeit ist nicht nur die Arbeit in einer NGO, in einem Sozialberuf, in einem nachhaltigen Projekt oder einer landläufig eindeutig „sinnvollen Tätigkeit“ wie Lehrer*in oder Pfleger*in. Es geht tatsächlich um die Frage, was dich persönlich erfüllt. Und das muss nicht systemrelevant sein, um wichtig zu sein. Wenn in deiner Excel-Tabelle das Richtige rauskommt, ein Blumenstrauß besonders schön gebunden ist oder jemand deinen Artikel bis zum Ende liest, macht das auch richtig viel Sinn.
Dieser gekürzte Artikel ist ein Gastbeitrag von Anna Gugerell, erschienen im Rise Karrieremagzin.
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